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Schreiben von Karl-Oswald Koch (geb. 1918) an seinen Onkel Oswald Stallmann
Stadt Minden WN 27 Nachlass Oswald Stallmann, Nr. 21
Stadt Minden WN 27 Nachlass Oswald Stallmann Nachlass Oswald Stallmann
Nachlass Oswald Stallmann
1939 - 1943
Enthält u.a.: "Du sitzt jetzt also in Polen. Wie gefällt es Dir denn dort? Wir sitzen noch immer in Quakenbrück und warten sehnsüchtig darauf, daß man uns einzieht. Es geht nämlich das Gerücht, daß wir bis zum 17. Oktober aus dem Arbeitsdienst entlassen werden sollen und unseren gewünschten Truppenteilen zugefügt werden sollen. Ich sehe das als einen ganz natürlichen Vorgang an. Man kann ja nicht die dienstpflichtigen Jahrgänge dort lassen, wo sie sind, sondern man muß doch den Nachwuchs für die nächsten zwei Jahre haben. An einen längeren Krieg glaube ich nicht. Der Engländer hat bestimmt nicht mit einer solch schnellen Erledigung der Polenfrage gerechnet, wie er es erfahren hat. Er sieht sich außerdem ganz allein auf weiter Flur, neben ihm steht der Franzose, der im Westen ganz allein Krieg führt, obgleich er nicht bedroht noch angegriffen wird. Der Tommy läßt dagegen auf sich warten. Er kommt nicht, weil er Angst bekommen hat, denn alle Welt hat ihn verlassen. Und daß diese Kriegsführung wie sie augenblicklich dort geführt wird andauern wird erscheint mir völlig unmöglich. Der Krieg könnte sich dann unendlich lange hinziehen, was wohl nicht im Sinne des Führers ist. Wo bliebe dann die Ausbildung der jungen Leute in beruflicher Hinsicht. Wir müssen doch nach dem Kriege alle Berufe wieder voll besetzen können. Und das geht eben nicht, wenn wir jetzt alle hier herumsitzen und darauf warten, bis der Krieg beendet ist. Entweder macht der Engländer einen Zurückzieher, oder wir zwingen ihn dazu. Unsere Wehrmacht wird auch mit ihm fertig werden. Amerika will ja neutral bleiben und hoffentlich bleibt es seinem Grundsatz treu. Dieses hoffentlich ist nicht im Sinne von Angst gemeint, sondern nur, um eben weiteres Blutvergießen zu vermeiden. Du kannst ja den Heckmann, Hecko auch genannt. Er ist vor Lodz gefallen als junger Leutnant. So hat mancher ins Gras beißen müssen. Schade drum, nur weil die Kriegshetzer in England es wollten. Doch auch sie müssen sich dereinst verantworten und dann wird mit ihnen kurzer Prozeß gemacht. Wer nämlich mit dem Feuer spielt, wird durch das eigene Feuer vernichtet werden. Wir kämpfen für unser Lebensrecht und der Engländer kämpft nur, um seine Geschäfte zu machen. Doch er hat die Zeche ohne den Wirt gemacht, und das wird ihm teuer zu stehn [!] bekommen. Lieber Onkel Oswald, Du siehst, ich sehe ganz klar und zuversichtlich unser Ziel vor Augen. Es leuchtet uns schon am Ende unseres schweren Weges entgegen. Hoffen wir, daß dieses bald erreicht ist.", 25. Sept. 1939; "Inzwischen sind wir nun auch vom Osten zum Westen gewandert und unser neuer Quartierort ist erreicht. Mir gefällt es so weit ganz gut in dieser Ortschaft. Wir liegen bei privaten Leuten, die Massenzusammenpferchungen fallen also weg. Es ist doch lange nicht so kalt wie es im Osten war. -23° war hier die niedrigste Temperatur, während wir in Osten über -30° hatten. Und nun zur Hauptsache. Du feierst in 4 Tagen Deinen Kriegsgeburtstag. Ich nehme an im gemütlichen Kreise unter Kameraden. Von Deinen Verwandten laufen an diesem Tage die Päckchen, Briefe und Karten ein und da will auch ich nicht fehlen. Leider kann ich Dir nichts an Süßigkeiten oder sonstigem schicken, denn es ist nichts zu bekommen. […] Hoffentlich ist der Krieg bald zu Ende, daß wir uns recht bald wiedersehn können. Na, wenn der Engländer erst einmal sein [!] Jack [!] voll gekriegt hat.", 10. Febr. 1940; "Inzwischen wirst Du nun wohl wieder aus Deinem Urlaub in der Pollackei angekommen sein. […] Hoffen wir, daß endlich bald der Sieges- und Triumphmarsch durch alle deutschen Gaue klingt und dem rauhen Kriegsgesang ein jähes Ende bereitet.", 1. Apr. 1940; Spaziergang am letzten Sonntag mit Tante Liesbeth: "Zwar ist mir die Natur nicht all' zu unbekannt, denn wir bewegen uns ja nur die ganze liebe Woche von morgens bis abends im Gelände, und doch bietet ein solcher Spaziergang etwas Neues. Man schlendert ganz gemütlich durch die Gegend und genießt erst dann richtig all' die Schönheiten. Im Dienst torkelt man dagegen in Reih und Glied immer hinter dem Vordermann her, den Kopf nach unten und ist froh, wenn man wieder im Lager ist. Was um uns herum geschieht ist Nebensache für uns. Es ist gerade so wie es uns das Lied "Graue Kolonnen" so schön sagt, wir ziehen dahin "müde durch Heide und Sand". Im Gegensatz dazu war mir also der letzte Sonntag ein wahrer Genuß. Man konnte über dieses und jenes sprechen, erfuhr dabei Neuigkeiten, die sich in letzter Zeit in Osnabrück ereignet hatten und war so ganz anders bei der Sache. Mir liegt nun aber fern mich über das Tun und Treiben hier zu beklagen, wir haben garnichts [!] auszustehen, es ist eben etwas anderes. Die Ereignisse der letzten Wochen haben uns nun wieder ein beträchtliches Stück in der Kriegsführung weitergebracht. Ob England nicht mit so etwas gerechnet hat? Der Norwege [!] kämpft zwar noch verbissen weiter, aber auch er wird bald von der Aussichtslosigkeit überzeugt werden. Wenn erst einmal die Nachschubtransporte richtig und gefahrlos rollen. Der Däne hat gleich die Einwilligung zu unserem Handeln dem Widerstand vorgezogen. Er war schlau genug, denn es hätte ihm manches kosten können. Verbissen verteidigt England nun den Erzexporthafen Narvik. Es ist für ihn ein Kampf auf Leben und Tod. Aber auch er wird nichts mehr ändern können. Wo deutsche Truppen sich einmal festgesetzt haben, da halten sie bis zum letzten Mann aus. Ich wäre ganz gerne bei dem Einmarsch in Skandinavien beigewesen, wir haben jedoch eine andere Mission zu erfüllen. Wenn diese in Angriff genommen wird, hängt ganz von England ab. Hoffen wir jedoch bald, damit diesem Ringen um die Weltherrschaft einem [!] Ende bereitet werden kann.", 23. Apr. 1940; "Einige Wochen sind vergangen und das waren einige Wochen, in denen ich viel gesehen und erlebt habe. Durch drei Länder sind wir gezogen. Zuletzt haben wir Flanderns Schlachtfelder von 1914-18 durchkreuzt, sind in Langemarck gewesen, durch Ypern gekommen und haben vor der französischen Grenze den Kemmelberg bestiegen, einen Zeugen des blutigen Ringens in Flandern. Dort wurde 1914-18 um jeden Meter gekämpft und viele mußten hier ihr Leben lassen. Die Ehrenfriedhöfe zeigen das ganz deutlich an. Man könnte eigentlich infolge der großen Zahl die die Feindmächte für ihre Gefallenen errichtet haben annehmen, daß fast nur Engländer, Franzosen und Soldaten der verbündeten Mächte gefallen sind. Überall stehen Gedenksteine und Friedhöfe von ihnen, während die unsrigen verschwindend wenig sind. Oder sollte es so sein, daß für einen deutschen Soldaten, mindestens 20 Feinde gefallen sind? Nein, daß [!] glaube ich nicht. Man hat es uns nicht erlaubt, den Gefallenen die letzten Ruhestätten zu errichten, die ihren Opfern würdig sind und wo wirklich die Erlaubnis gegeben wurde da war sie so beschnitten, daß man nach deren Meinung nicht viel anfangen konnte. Man hatte sich aber getäuscht, der Deutsche hat seinen gefallenen Kameraden doch die schönsten Friedhöfe errichtet. Einfach aber schön. So z.Bspl. der Hauptfriedhof von Langemarck. Lauter Bäume eigenst [!] dafür gepflanzt. Ein mannshoher Wall umzäunt gleich einer Befestigung das Ganze. Schlichte schwarze Holzkreuze zeigen die letzte Ruhestätte der einzelnen Gefallenen an. Etwa 6000 sind davon mit Namen versehen 3000 sind unbekannt. Am Eingang stehen zwei schwarze Granitblöcke ein Sinnbild der ungeheuren Kraft und des gewaltigen Ansturms der deutschen Truppen. Über die so hart umstrittenen Gebiete ging diesesmal [!] der Sturm unhaltsam in wenigen Tagen hinweg. Ungezählte Divisionen wurden gefangen genommen und kamen kaum zum Widerstand. Noch heute laufen die Gefangenentransporte ein. Wohin nur mit den Menschen. Eins ist mir aufgefallen, der Franzose hat noch reichlich viele alte Leute eingezogen. Sogar noch Vierzigjährige sollten in vorderster Front kämpfen. Ich glaube, daß das ein gewaltiger Nachteil unserer Truppe gegenüber ist. Hoffen wir nun, daß alles bald ein Ende hat und unser Enderfolg nicht ausbleibt.", 10. Juni 1940; "In den letzten Tagen sind wieder viele bekannte Namen aus dem Weltkriege an uns vorüber gezogen: La Baffée, Arras, Amiens und Somme. Hier wurde vor 2 Jahrzehnten erbittert um Meter, ja um cm gekämpft. Viele lange Jahre wühlten die deutschen, französischen und englischen Geschütze den Boden immer wieder von neuem um. Kein Strauch und kein Baum war mehr zu sehen, kein Stein blieb auf dem anderen überall nur Schutt und Asche. Nun ist dieselbe Schreckenswalze darüber hingegangen, diesmal war ihrem Lauf kein Halt mehr zu bieten. Im rasenden Tempo ging sie dahin. Vieles wurde dabei zerstört, vieles ist aber auch heil geblieben. So stehen im hohen Maß noch die Kornfelder, Bäume und Sträucher. Wenn nicht die Gräber der deutschen Soldaten an den Straßen wären, würde man kaum merken, daß hier Krieg stattgefunden hat. Anders ist es natürlich in den Ortschaften. Diese waren vom Feinde zu Festungen ausgebaut, was eine Artilleriebeschießung zur Folge [hatte]. Wie das Ganze danach aussah wirst Du Dir wohl denken können. Na, man gut, daß der Mensch sich an alles gewöhnt. Ich hatte zuerst gemeint, so etwas würde ich nicht immer sehen können. Mir geht es sonst noch ganz gut. Vater hat scheinbar im selben Abschnitt gelegen, muß aber auf Paris zumarschiert sein, während wir an der Somme zum Westen hin abgebogen sind. Hoffentlich dauert der Krieg nun nicht zu lange mehr, denn gefallen tut es mir hier nicht. Immer das fremde Gequassel der Franzosen um sich zu haben, ist schrecklich, sicherlich kann ich mich mit ihnen verständigen, wenn sie aber unter sich sind, dann kann ich nichts verstehen. Bei ihnen geht der Schwall der Worte ununterbrochen. Lange kann es ja nicht mehr dauern, daß die franz. Armee kaputt ist. Wenn General Rétain schon selbst zugegeben hat, daß Frankreich die Waffen strecken müsse, dann ist es schon weit genug gekommen. Also hoffentlich ist bald alles aus und wir können wieder nach Deutschland zurück.", 21. Juni 1940; Glückwunsch zum Dienstgrad "Feldwebel" und: "Der Krieg in Frankreich ist ja nun seit knapp einer Woche beendet. Der Siegeslauf war so gewaltig, daß alle Welt jetzt wohl mit Achtung und Vorsicht unsere Waffe genießen muß. Wenn auch jetzt noch derEngländer hohe Kriegsgesänge anstimmt, so ist es doch nur, um sich die Angst vor dem unabwendbaren Schicksal zu vertreiben. Wenn er nämlich schon kleine Zugeständnisse betreffs unserer siegreichen deutschen Truppe und seiner Führung macht, dann ist es schon weit genug gekommen. Sicher fühlt er sich nicht mehr. Umsonst würde er nicht jede Nacht Landungsversuche mit Schnellbooten machen und so eifrig Aufklärungsflüge über französische Küstengebiete unternehmen. Er will mit aller Gewalt etwas erfahren. Mag ihm auch einiges gelingen, viel Zweck hat es ja doch nicht. Unser Angriff kommt wieder so überraschend, daß er kaum Zeit finden wird etwas zu unternehmen. Eine "Churchill-Linie" ist im Süden Englands schon gebaut, allerdings erst im letzten Augenblick und wie solche Verteidigungslinien zu bewerten sind, hat uns die Weygand-Linie in Frankreich wohl am besten bewiesen. Der englische Humor in der Zivilbevölkerung reicht sogar so weit, daß man schon Wetten über Zeit und Stunde des deutschen Angriffs abschließt. Sollte das wirklich Humor oder Kaltblütigkeit sein, oder könnte man das nicht eher als Panik, als Angst bezeichnen. Wenn das Humor ist, dann müßte man doch etwas stutzen. Humor, nein, welch Teilnahmslosigkeit der Bevölkerung stände dann den Unternehmungen der Regierung Churchill gegenüber. There is something fowl in the state of England. Sollte ein drohendes Gewitter für England im Anzuge sein! Nach den Reden der englischen Gefangenen wäre das ganz gut möglich, denn sie alle bestätigen uns immer wieder, daß das englische Volk sich gegen den Krieg gewehrt habe. No good, it's for the riche [!] and the big, but not for us. Und die heldenmütige Verteidigung des engl. Expeditionskorps ist nicht auf den guten Kampfgeist zurückzuführen, sondern ist lediglich eine Folge der Greuelmärchen [!], die man über uns verbreitet hat: Die Deutschen schneiden Euch den Hals ab. Im Wasser bis zum Hals haben sie gekämpft, nur nicht um in unsere Gefangenschaft zu geraten. Das war der Hexenkessel von Dünkirchen. Doch nun ist ja alles erledigt, möge die Vorsehung nun auch im Endkampf Schutz und Sieg unsere Waffe für Frieden und Ordnung gewähren.", 4. Juli 1940; "Unser Leben besteht nämlich nicht nur aus dem Studieren, man setzt uns auch sonst noch so allerlei dienstliche Kleinigkeiten vor. Wenn man in dieser Zeit seine Ausarbeitungen für das Studium machen könnte, dann wär es natürlich leicht, jede Woche Briefe zu schreiben. […] Mir geht es gut und das Studium macht mir Spaß. Natürlich gibt es gewisse kleine Ausnahmen, aber auch diese bitteren Pillen muß man mitschlucken. Eine Vollheit ist es immer in den Vorlesungen, so daß man immer schwer auf Draht sein muß, wenn man noch ein bescheidenes Plätzchen haben will. So mancher studiert doch eigentlich, der dort nicht hingehört. Da sind schon Sachen vorgekommen, die gerade kein gutes Licht auf die Akademiker werfen. Wenn man aber diese Menschlein vor die Wahl stellt, ob sie Soldat werden wollen oder ob sie studieren wollen - na, und wer ist dann ein solch großer Idealist und wählt ersteres. Wie manchen die Soldatenzeit und die sittliche Reife fehlt stellt sich nun jetzt heraus. Es ist tatsächlich wahr, die beste Schmiede des Menschen ist das Militär. Das stellt sich jetzt immer wieder heraus. Man kann nämlich so seine Beobachtungen machen und Menschen studieren, wenn man so mitten dazwischen ist. In unserem Jahrgang bin ich so ziemlich einer von den ältesten mit. Die Kameraden haben fast alle das Notabitur und sind erst im Dezember Soldat geworden, während ich noch regelrecht mein Abitur gebaut habe, im Arbeitsdienst gewesen bin und anschließend in die Wehrmacht übernommen wurde. Hoffentlich wirkt sich das auf die Beförderungen aus, damit man sein Geld bekommt und nicht um jeden Pfennig nach Hause zu schreiben braucht. Es ist nämlich ziemlich teuer in Berlin zu leben. Man schüttelt manchmal mit dem Kopfe, wenn man die Preise erfährt. Kulturell kann man allerdings viel von Berlin haben und ich nutze jede Gelegenheit aus, um in irgendein Konzert oder ins Theater zu kommen. Letzten Freitag habe ich eine Freikarte für die Philharmonie gehabt. Ein japanischer Dirigent leitete das Konzert, und ich war restlos begeistert. Neben zwei unbekannten Werken haben sie ein Klavierkonzert von Liszt und die Heroika von Beethoven gespielt. Ja soetwas [!] bekommt man nicht alle Tage zu hören.", 20. Okt. 1940; "Du wirst auch sicherlich im ersten Augenblick die traurige Nachricht vom Hinscheiden unseres geliebten Vaters nicht haben glauben können. So unerwartet und plötzlich wurden wir vom Unglück geschlagen, daß wir für einige Zeit wie gelähmt waren. Hatte jemals einer von uns daran gedacht, daß er niemals wiederkehren würde, daß sein Herz die letzten Schläge auf fernem Feindesboden tun sollten, und daß einst russische Erde und Rasen seinen müden und abgejagten Körper zudecken würde. Es ist einfach schrecklich, wenn man sich mit Gedanken tiefer gräbt, überall "Halt-Signal" und doch geht das Leben weiter. Es muß einfach weitergehen. Man möchte vor Überdruß die Hände in den Schoß legen, alles ist einem egal und trotzdem darf man sich nicht gehen lassen. Das Leben fordert seine Rechte, sowie es von Vater sein Liebstes und Letztes forderte, so fordert es nun von uns erhöhte Kampfbereitschaft für spätere Hindernisse, die sich uns in den Weg stellen werden. Als mahnendes Vorbild und Beispiel begleite uns nun immer der siegreiche Lebenskampf den unser Vater zu führen hatte. Nähere Einzelheiten über den Tod sind uns noch nicht bekannt. Der Kommandeur schreibt in seinem Brief folgendes: "Sehr verehrte gnädige Frau! Schweren Herzens muß ich Ihnen von der erschütternden Tatsache Mitteilung machen, daß der Tod Ihres Gatten vor einigen Tagen aus unseren Reihen gerissen hat. Am 11. Juli überschritt das Regiment die ehemalige Grenze zwischen Polen und Rußland. Es war ein besonders heißer Tag. Ihr Gatte nahm wie bisher an jedem Tag, auch am 11. 7. an dem Vormarsch teil. Er fuhr seit länger als eine Woche in einem Auto der 14. Komp., so daß er sich nicht überanstrengen brauchte. Bei der Mittagsrast, es ist gegen 13 Uhr gewesen, unterhielt er sich zuerst mit dem Oberfeldw. Wölfges der 14. Komp., setzte sich dann in den Schatten und unterhielt sich hier etwa noch ¼ Stunde lang mit dem Schützen Armhövel der 14. Komp. Kurz danach stand Ihr Gatte auf, ging einige Schritte und brach plötzlich zusammen. Ein Herzschlag hatte seinem Leben ein Ende gesetzt. Das ganze Reg. steht erschüttert vor diesem fast unfaßbaren Ereignis des plötzlichen Hinscheidens Ihres Gatten. Ich möchte Ihnen meine wärmste Teilnahme und das Beileid des ganzen Regiments aussprechen. Ihr Gatte war seit Bestehen des Regiments Musikmeister im Regiment. Jeder Offizier und Mann kannte und schätzte ihn und wußte, wie sehr er sich und sein Schaffen in den Dienst aller Angehörigen des Regiments stellte. Am Ort der abendlichen Unterkunft des Rgt.-Stabes, unter einer Birkengruppe auf einer kleinen Anhöhe, mit dem Blick auf einen großen von Wald umsäumten See, trugen wir ihn unter der Beteiligung der abkömmlichen Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften und unter den Klängen der Blasmusik seines Musikkorps zur letzten Ruhe. Ein festes Holzkreuz schmückt sein Grab in Sselischtsche auf russischem Boden. Ich bitte Sie, meine Teilnahme auch seinen Söhnen, denen ich später, sobald die augenblicklichen Gefechtshandlungen erlauben, selbst schreiben werde, zu übermitteln. Aufnahmen von der Grabstätte lasse ich anfertigen und werde sie Ihnen baldmöglichst zusenden, ebenso seine Sachen, Orden und Ehrenzeichen. Mit der Versicherung, daß wir Ihren Gatten als einen der ältesten Kameraden im Regiment, der so viel für das Regiment gewirkt hat, immer im Gedächtnis behalten werden, spreche ich die Hoffnung aus, daß Sie den Verlust in dem Gedanken leichter tragen, daß auch er für ein größeres Deutschland sein Leben gab." Das ist nun das einzige Schriftstück das wir in den Händen haben und mit dem wir den Tod nachweisen können. Ich nehme ja noch an, daß wir noch eine ärztliche Bescheinigung zugeschickt bekommen. Kurt und Otto sind auf dienstlichem Wege telegrafisch benachrichtigt. Hoffentlich hat man Ihnen es entsprechend schonend beigebracht und hoffentlich können sie bald einmal auf Urlaub kommen, daß Mutter in der ersten Zeit möglichst viel von uns um sich herum hat. Auf keinen Fall darf sie nun allein in der Wohnung bleiben. Sie muß möglichst viel auf Reisen gehen.", 27. Juli 1941; "Sei bitte nicht böse, wenn ich erst jetzt auf Deinen Brief antworte. Bis man aber wieder in geregelten Bahnen nach solch einem Schlag läuft, währt immer etwas länger. Man meint, alles ginge aus den Angeln und glaubt, die Mauern fielen über einem zusammen. Man möchte stillstehen und rasten und frische Luft atme, doch bleibt das Leben stehen. Jeder ist ein Lebewesen für sich, und das Leben stellt an jeden einzelnen die gleichen Forderungen, und wer diesen nicht entspricht, bleibt hinten an. Zwar gibt es hier eine Verkehrsstockung, doch diese muß schnellstens beseitigt werden, um den ruhigen Fluß menschlichen Lebensblutes zu gewährleisten. Der große Meilenstein auf diesem Wege, läßt nur Erinnerungen an den Verstorbenen zurück. Diese sollen uns jedoch stets in schwachen Stunden aufrütteln und zu neuen Taten anspornen. Ewiger Dank und größte Ehrfurcht sollen stets in uns wach bleiben. So wie Vaters Leben uns galt, so soll unser Leben ihm und seinen Werken gelten. Dessen sei unser letzter Liebesgruß, den wir ihm senden können, und möge die gütige Vorsehung uns die Kraft verleihen, diesen Gruß und Schwur bis zur letzten Konsequenz durchzuführen. Hier in Innsbruck habe ich mich mit frischer Kraft in die Arbeit stürzen können. Vormittags bin ich in der Klinik und versuche den Anforderungen entsprechend unserem Wissen gerecht zu werden. Nachmittags haben wir dann Zeit, um uns für die zukünftige Prüfung vorbereiten zu können. Da werden die verstaubten Lehrbücher wieder ans Tageslicht hervorgezogen, und neues Leben beginnt wieder zwischen den Zeilen, und die Buchstaben nehmen neue und verstehende Formen an. Aus der toten Materie wird dann lebendiges Wissen und aus dem Hohlkopf wird hoffentlich ein Quell sprudelnder Wissenschaften.", 12. Sept. 1941; "Die Zeit in Berlin war bis jetzt weniger schön, da wir keine ordentliche Bleibe hatten. Wir hausten bis jetzt in einem Zimmer, das eher eine Rumpelkammer war. Als einziges Inventar hatten wir unsere Betten, sonst gab es nur noch Tische in Hülle und Fülle, dazwischen dann unsere Kisten, Kasten und Koffer, die uns als Sitzgelegenheiten und dergleichen dienten. Das Wohnen war also kurz alles andere als schön, so daß ich froh war, wieder nach Hause fahren zu können. Zwar haben wir einige Tage vor der Abfahrt noch unsere Möbel bekommen. Doch das Eingewöhnen dauert immer eine gewisse Zeit, überhaupt, wenn man durch die Innsbrucker Zeit so verwöhnt war. Nun kam ich in Osnabrück an und fand einen gleichen Trubel vor, so ergab sich von selbst die erste Arbeit, die unser wartete. Heute, Sonntag, ist nun Gott sei Dank das Herrenzimmer einigermaßen wohnlich hergerichtet, und ich kann mich am Schreibtisch niederlassen und abermals einen Versuch machen, Dir zu schreiben.", außerdem Gedanken über das Nichtbestehen und nachfolgende Bestehen einer Prüfung, 20. Dez. 1942; "Mein Urlaub selbst war recht nett, wenn auch die wohnlichen Verhältnisse [nach dem Bombentreffer auf der Haus mit der elterlichen Wohnung in Osnabrück] weniger an den Komfort der Friedenszeiten erinnerten; doch man schaut gern darüber hinweg, denn auch das größte Opfer ist wert es für den späteren Bestand unseres Vaterlandes zu ertragen.", 8. Jan. 1943; Geburtstagswünsche: "Mögest Du vor allen Dingen gesund und heil aus jenem furchtbaren Völkerringen- und morden zurück kehren. Möge Dich die Vorsehung vor dem Schrecklichsten bewahren und schützend ihre Hände über Dich halten. Es ist für Dich nun schon der dritte Geburtstag des Krieges. Und erst in diesem Jahr wird Dir das wohl so recht klar werden. Schwer ringt das Volk, es ächzt die Front, es toben unsagbar schwere Schlachten, und Du stehst nun unmittelbar im härtesten und größten Geschehen und siehst alles mit eigenen Augen und hörst es mit eigenen Ohren, so wie damals vor fast dreißig Jahren, als Du auch schon beim ersten Weltkrieg dabei warst. Wir in der Heimat erhalten ja nur ein annäherndes Bild von dem was eigentlich vorgeht. Doch wenn man den Heroismus jener Männer von Stalingrad dem der 300 Spartaner gleichsetzt, dann will das was heißen, und man muß sich nur wundern, daß heute noch so viel Menschen mit Wort und Taten den eigentlichen Sinn und Geist der Zeit nicht erfaßt haben. Sie schimpfen, wenn sie sich einschränken sollen und haben es in Wirklichkeit vielleicht noch nie so gut gehabt, wie im Augenblick. Doch, lieber Onkel Oswald, lassen wir es und reden wir nicht über sie. Sie sind es garnicht [!] wert, denn die große Aufgabe, die uns allen zukommt, findet doch ihre Erfüllung. Und so ist es auch weiterhin mein Wunsch, daß Du jene Zeiten der größten Erfüllung des deutschen Volkes noch mit erleben mögest. Und wenn ich die Hoffnung ausspreche, daß uns bald ein siegreicher Friede von allen Schrecken und Qualen der jetzigen Zeit ablöse, so ist das auch für Dich mit, denn Du und wir alle sind Deutschland, und Deutschland ist unsere Heimat. Und unserer Heimat gilt unsere ganze Sehnsucht, und für sie setzen wir uns ein, bis die Gefahren beseitigt sind.", 2. Febr. 1943; "Du fragst nun wegen der Büchse Fleisch an. Ich war gleich bei Kurt und habe nachgefragt. Er hat jedoch nichts bekommen. Es gibt scheinbar doch immer wieder Leute, die nicht zwischen "Mein" und "Dein" unterscheiden können. Da läuft ja jetzt auch soviel Pack und Gesocks an Ausländern auf den Bahnhöfen und der Post herum, deren Moral mit ganz kleinen und winzigen Buchstaben geschrieben ist. Es ist nur schade, daß wir von ihnen abhängig sind, wert sind sie es nicht, daß unsere Soldaten das Leben für Europa, also auch für sie schlecht und recht, einsetzen. Wenn man schon die Typen sieht, die das Stadtbild Berlins zum größten Teil beherrschen, dann kann einem schlecht werden. Die deutsche Sprache hört man tatsächlich bald weniger als das Gekauderwelsche jener Schmierfinke. Doch wir müssen es hinnehmen, solange der Krieg deutsches Blut an den Fronten fesselt, denn nur auf dieses ist ein Verlaß, die anderen Schreihälse hätten Europa schon längst preis gegeben.", 21. März 1943