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König Oedipus
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Weimarische Zeitung, Nr. 38, 14.02.1874, S. 2: „Zuvörderst erscheint uns das künstlerische Prinzip, nach welchem die gesammte Aufführung geleitet war, durchaus richtig. Es kann sich bei der Wiederbelebung des Sophokleischen Meisterwerkes auf der modernen Bühne nicht um das Problem handeln, der Dichtung bis in ihre feinsten Züge poetischer Schönheit nachzugehen und mit ängstlicher Gewissenhaftigkeit auch äußerlich an die antike Darstellung sich anlehnen zu wollen. Oertliche und zeitliche Verhältnisse bedingen entschieden eine künstlerische Umgestaltung der Aufführung, und diese sollte gewagt erscheinen, wenn man erwägt, mit welchen gründlichen Forschungen die Wissenschaft uns das genaue Verständniß der Antike nahe bringt, so daß die lernende Jugend mit dem Wortlaut im Gedächtniß einer solchen Aufführung zu folgen vermag […]. Was gäbe es denn auch in der Kunst Erhebenderes als das begeisterte Zusammenwirken einer Kunstgenossenschaft zur Verherrlichung eines Meisterwerkes und die sympathische Erregung, welche sie damit auf das Publikum hervorruft! Zu einem solchen weihevollen Abend wurde die hiesige Aufführung des „Oedipus“ […]. Die Uebersetzung von Wendt ist poetisch und schwungvoll, dabei gewandt und fließend, somit trefflich für die Aufführung geeignet […]. Die Darsteller hatten sich mit bewundernswerther Sicherheit die Beherrschung der ungewohnten Aufgaben zu eigen gemacht, dies war aber nur bei Allen die Grundlage zu einer künstlerischen Auffassung, welche die wärmste Anerkennung verdient. Herr Dalmonico hat uns mit seiner Wiedergabe des Oedipus höchlichst überrascht, nicht als ob wir vorher Zweifel in sein künstlerisches Talent gesetzt hätten, dasselbe hat sich aber hier auf einer so entwickelten Stufe erwiesen, daß es alles bisher von ihm Geleistete weit dahinter zurückläßt. Das verständige Maß in der Anlage , die Wärme der Darstellung, die Steigerung bis zu der tiefergreifenden Tragik, die sich im großartigen und edlen Stil durchweg erhielt, dazu ein maßvoller Gebrauch des schönen Organes, alles dies sind Vorzüge, welche an einem so jugendlichen Künstler zu den schönsten Erwartungen berechtigen. Wir enthalten uns für ihn wie für sämmtliche übrige Darsteller heute jeder Kritik an Einzelheiten […]. So haben wir denn eigentlich nur die verschiedenen Darsteller zu nennen und zu rühmen, daß Frau Hettstedt als Jokaste, Herr Brock als Kreon, die Herren Lehmann und Cabus als Hirten und Herr Reinhardt als Diener des Oedipus die gleiche Hingabe an ihre Darstellung zeigten und eine wahrhaft künstlerische Auffassung bekundeten. Ganz vorzüglich war Herr Devrient als Tiresias; seine Darstellung war im wahrhaft großen, tragischen Stil gehalten und wirkte zusammen mit Erscheinung und Gebärde tief ergreifend. Wir können die Herren Schmidt und von Milde nicht darstellerisch allein würdigen, sondern müssen mit ihrem Lob zugleich auf das Element kommen, welches sich der Dichtung in wunderbarer schöner Weise zugesellt: Die Komposition der Chöre von E. Lassen. Eine tiefe Innerlichkeit der Empfindung paart sich darin mit einem so reinen, nirgends forcirten musikalischen Ausdruck, daß man sich in vollständiger Harmonie mit der antiken Dichtung in der Musik wiederfindet. Bewundernswerth ist dabei die formelle Schönheit derselben. Der Komponist hat jede selbstständige Ausbreitung seiner Kunst vermieden, wir begegnen kaum einer Wiederholung der Worte; dabei sind doch die Chöre ebenso charakteristisch wie schön und üben den vollständigen Zauber einer unmittelbar empfundenen Musik. Daß Lassen ein Komponist ist, welchem die musikalische Erfindung ebenso reichlich zu Gebote steht, wie der klanglich reizvolle Ausdruck für dieselbe, ist eine in dem kleinsten Lied von ihm bewährte Thatsache, die wir aber noch kaum in so großem und edlen Stil bewundern konnten, wie in dieser Musik zum „Oedipus“; die musikalische Deklamation ist dabei von einer Feinheit, daß wir jedem Hörer gewünscht hätten, die Donner’sche Uebersetzung, wie wir, in der Hand zu haben. Die kleinen Orchestersätze: Introduktion, Auftritt der Jokaste, deren Gang zum Opfer, und Abschied des Oedipus von den Kindern, haben denselben Vorzug wie die Chöre, sie nehmen nur die Zeit ein, welche die Handlung ihnen gestattet, und sind dabei voll tiefempfundener musikalischer Schönheit und charakteristischem Ausdruck. In der Instrumentirung hat sich Lassen der modernen, reichen Klangfülle, die ihm so sehr zu Gebote steht, enthalten, und so, ohne doch irgend eine Klangfarbe vermissen zu lassen, die Harmonie seiner Komposition vollendet, die wir in ihrer Totalität für eines seiner schönsten und bedeutendsten Werke anerkennen müssen. Die musikalische Ausführung war ganz vortrefflich. Zuerst gebührt das Lob hierfür unsern ersten Künstlern, welche uns den erhebenden Eindruck gaben, ihre Kräfte dem Ganzen dienstbar zu machen; dann möchten wir aber jeden Einzelnen der Herren vom Chor nennen können, um zu rühmen, wie Jeder sein Bestes that und den wahrhaft künstlerischen Eindruck dadurch vollendete. Die Inscenirung war, nach dem obigen Prinzip, nicht der antiken Bühne nachgeahmt, und wir halten es für durchaus angemessen, dieselbe, wie hier, nur anzudeuten; alles Uebrige war der Würde des Ganzen entsprechend, künstlerisch durchdacht und wirkungsvoll. Am Schluß unseres allgemeinen Lobes loben wir noch uns selbst und zwar als Theil des ganzen Publikums. Wir erinnern uns kaum, dasselbe bei einer klassischen Tragödie in einer so gespannten, weihevollen Aufmerksamkeit gesehen zu haben, als an jenem Abend. Es herrschte äußerste Stille, die sich nur bei den zündenden Stellen nicht etwa in einem succès d’éstime, sondern in einem enthusiastischen Beifall Luft machte, und wir glauben, daß die Aufführung nicht unter die „Experimente“ gerechnet werden muß, sondern auch bei Wiederholungen derselben Theilnahme gewiß sein darf.“