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Kriminalprozesse gegen die Familie Grävenitz und Würben (Bestand)
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Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Hauptstaatsarchiv Stuttgart, A 48/05
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1697-1790
1. Herzog Eberhard Ludwig und die Grävenitz: Christina Wilhelmina von Grävenitz kam 1707 an den württembergischen Hof und wurde dort Herzog Eberhard Ludwig als Mätresse zugeführt. Noch im selben Jahr heiratete der bereits verheiratete Herzog die Grävenitz und stieß damit in Württemberg auf geschlossenen Widerstand. Im folgenden Jahr wurde die Ehe wieder annulliert. 1711 heiratete die Grävenitz zum Schein den böhmischen Grafen Johann Franz Ferdinand von Würben, der sich in einem Ehevertrag verpflichtete, die Ehe nicht zu vollziehen und Württemberg niemals zu betreten. Im Gegenzug erhielt er das hochdotierte Amt des württembergischen Landhofmeisters. Die nunmehrige Gräfin Würben konnte daraufhin als Ehefrau des höchsten württembergischen Beamten an den Hof zurückkehren. Sie konnte ihre Position als herzogliche Mätresse bis 1731 halten und übte in dieser Zeit einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss auf den Herzog und damit auch auf die württembergische Politik aus. Die Schlüsselpositionen von Regierung und Verwaltung wurden mit Mitgliedern der Familie Grävenitz oder ihrer Klientel besetzt. Die wichtigsten Männer in Württemberg waren dadurch Friedrich Wilhelm von Grävenitz, der Bruder der Mätresse, als Oberhofmarschall und Premierminister und Johann Heinrich von Schütz als Gesandter und Kabinettsminister. Auch gelang es der Grävenitz und ihrer Familie, in Württemberg ein großes Vermögen anzuhäufen. Neben Deputatsverschreibungen und Geschenken war das Interesse der Grävenitz vor allem auf eigene Güter und Lehen gerichtet. In der Standeshierarchie stieg die Baronesse auf zunächst zur Gräfin von Grävenitz, dann zu Gräfin von Urach und schließlich durch ihre Hochzeit zur Gräfin Würben. Über ihre Herrschaft Welzheim erreichte sie gemeinsam mit ihrem Bruder Sitz- und Stimmrecht im Fränkischen Kreis. Erst im Mai 1731 verbannte Herzog Eberhard Ludwig seine Mätresse auf ihre Güter. Da der Erbprinz kränkelte und wenig später starb, wollte der Herzog sich mit seiner verstoßenen Ehefrau versöhnen und so die Erbfolge sichern. Weil die Grävenitz aber mehrfach versuchte, an den Hof zurückzukehren und sich als ernsthafter Störfaktor in der württembergischen Politik erwies, ließ Eberhard Ludwig sie im Herbst 1731 verhaften und zunächst in Cannstatt, dann in Urach festsetzen. Im Dezember 1732 schlossen der Herzog und die Grävenitz einen Vergleich, in dem sie gegen eine Entschädigung von 125.000 Gulden auf ihre Güter Gochsheim, Stetten und Brenz verzichtete (Bü 84). Daraufhin wurde sie aus der Haft entlassen und ging nach Berlin.
2. Der Prozess gegen die Grävenitz: Nach dem Tod Herzog Eberhard Ludwigs im Oktober 1733 änderte sich in Württemberg das Klima für die Familie Grävenitz. Nach der Verhaftung der ehemaligen Mätresse blieben deren Familienmitglieder weiterhin in Amt und Würden. Erst im Dezember 1733 zog Herzog Karl Alexander einen Schlussstrich unter die Ära Grävenitz. Ihr Bruder Friedrich Wilhelm und ihr Neffe Viktor Sigmund wurden gemeinsam mit zahlreichen weiteren Männern verhaftet und vor eine Untersuchungskommission gestellt. Karl Alexander wollte mit diesen politischen Prozessen ein deutliches Zeichen gegen die Dominanz der Familie Grävenitz setzen, was in der Bevölkerung auch sehr positiv aufgenommen wurde. Die Untersuchungskommission arbeitete zwei Jahre und verhörte insgesamt 188 Zeugen. Zu einer ordentlichen Verurteilung kam es allerdings nicht. Mit der Grävenitz wurde 1736 ein zweiter Vergleich getroffen (Bü 43), mit ihrem Bruder bereits 1734 (vgl. U 1). Die anderen Inhaftierten wurden nach und nach - meist schon 1734 - wieder entlassen. Zum Teil kehrten sie sogar wieder in ihre Ämter zurück.
3. Die Familie Grävenitz: Als Arbeitshilfe seien hier die wichtigsten Mitglieder der Familie Grävenitz mit ihren Funktionen genannt. Bereits vor der Grävenitz selbst, die in den Quellen als Gräfin von Urach, Gräfin Würben und Landhofmeisterin auftaucht, kam ihr Bruder Friedrich Wilhelm von Grävenitz nach Württemberg. Er wurde gemeinsam mit seiner Schwester 1707 in den Reichsgrafenstand erhoben. In Württemberg war er zunächst Kammerjunker, dann ab 1716 Oberhofmarschall und Geheimrat, ab 1724 Premierminister. Er wurde 1733 entlassen. Auch dessen Söhne Friedrich (Wilhelm) und Viktor Sigmund machten am württembergischen Hof Karriere. Friedrich war ab 1723 Oberstallmeister und ab 1729 Hofmarschall. Viktor Sigmund wurde 1728 Komitialgesandter und Stuttgarter Obervogt. Beide wurden ebenfalls 1733 entlassen. Die beiden anderen Brüder der Grävenitz, Johann Friedrich und Karl Ludwig, wurden Oberstallmeister und Generalmajor. Zudem waren Friedrich Wilhelm und Viktor Sigmund Geheimräte und Konferenzminister. Die zahlreichen Obervogtspositionen, die Mitglieder der Familie Grävenitz innehatten, sind hier nicht aufgeführt. Die Schwager der Grävenitz, David Nathanael von Sittmann und Josua Albrecht von Boldewin, wurden Geheimrat und Kriegsratsvizepräsident.
4. Die Bestandsgeschichte: Der Bestand A 48/5 ist über einen Zeitraum von etwa hundert Jahre veteilt in kleinen Stücken ins Archiv gekommen. Den ersten und größten Teil des Bestandes hat Christian Friedrich Sattler etwa zur Mitte des 18. Jahrhunderts verzeichnet, vermutlich unmittelbar nach dessen Abgabe ins Archiv. Dies betrifft die heutigen Büschel 1 bis 45. Wohl noch im 18. Jahrhundert wurde der Archivbestand um 25 Büschel ergänzt, die allerdings von anderer Hand in das Repertorium Sattlers verzeichnet wurden. Diese Akten erhielten die Büschelnummern 45 bis 70. Im 19. Jahrhundert erfolgten zwischen 1820 und 1847 mehrere Abgaben verschiedener Provenienzen. Hauptprovenienzstelle war hierbei das Archiv des Innern mit zwei Büscheln im März 1820 (Bü 71/72), fünf Büscheln 1827 (Bü 73-77), je einem 1828 und 1829 (Bü 78 und 79) sowie je drei 1830 und 1831 (Bü 80-82 und 83-85). Diese Abgaben des Archivs des Innern wurden zeitnah von Regierungsrat Christian Heinrich Günzler verzeichnet. 1834 kamen acht Büschel von der Hofdomänenkammer (Bü 86-93) und eines vom Finanzarchiv (Bü 94) ein. In der Folge kamen je zwei Büschel über die Nachlässe der Geheimräte von Hoffmann (Bü 94/95) und Weckherlin (Bü 96/97) zum Bestand. Schließlich lieferte die Geheimratsregistratur 1835/36 und 1847 insgesamt zehn Büschel an das Archiv ab (Bü 99-107 und Bü 108/109). Alle Ablieferungen nach der Verzeichnung Sattlers wurden in dessen Repertorium nachgetragen und erhielten fortlaufende Numerierungen zunächst in Faszikeln, dann in Büscheln. Das so entstandene Repertorium wurde wohl in der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts ohne Veränderungen mit Maschine abgetippt. Das so entstandene Zettelrepertorium wurde 2010 gründlich überprüft und in Scope eingegeben. Bei dieser Revision wurde die Verzeichnung an die teilweise neue Ordnung der Büschel angepasst und Fehler bereinigt. Auch bisher nicht erfasste und in den Büscheln vorgefundene Aktendirektorien wurden in die Verzeichnung aufgenommen, so dass der Bestand nun für große Teile einzelblattverzeichnet ist. An der Numerierung wurde nichts geändert, allerdings wurden die bisher nach Abgabeschichten geordneten Büschel in einen sachthematischen Zusammenhang gebracht und neu klassifiziert. Die Klassifikation richtet sich nach den verschiedenen untersuchten Mitgliedern und Anhängern der Familie Grävenitz-Würben. Außerdem ergab sich ein Klassifikationspunkt mit Akten und Protokollen der Untersuchungskommission sowie eine Restgruppe von Beweisaufnahmeakten, die keiner einzelnen Person zuzuordnen waren. Bei der Verzeichnung wurden auch die erfassten Personen, soweit dies möglich war, identifiziert und deren Vornamen ergänzt. Dies soll dem Nutzer den Umgang mit den zahlreichen Mitgliedern vor allem der Familien Grävenitz und Schütz erleichtern. Die Hauptperson der Untersuchung, Christina Wilhelmina von Grävenitz, wurde zur besseren Auffindbarkeit grundsätzlich unter ihrem Geburtsnamen erfasst: Baronin und Gräfin von Grävenitz, Gräfin von Urach, Gräfin von Würben und Landhofmeisterin wurden zu Grävenitz vereinheitlicht. Die zeitlich korrekte Zuordnung der wechselnden Namen und Titel ermöglicht die einschlägige Literatur ohne größere Umstände.
5. Verwandte Bestände im Landesarchiv: Die Untersuchungskommission gegen die Grävenitz sammelte zahlreiche Akten aus verschiedenen Behörden des Landes zur Beweisaufnahme gegen die Grävenitz. Damit kann anhand des Prozessbestandes nicht nur die Untersuchung selbst, sondern auch weite Teile der Regierungszeit Herzog Eberhard Ludwigs nachvollzogen werden. Die zentralen Bestände zur Regierung des Herzogs zwischen 1710 und 1733 sind die beiden Kabinettsbestände A 5 und A 6 im Hauptstaatsarchiv Stuttgart. Zu den Personen des Herzogs und der Herzogin Johanna Elisabeth geben deren Bestände G 184 und G 185 im Hausarchiv Auskunft. Eine frühe historiographische Untersuchung zur Grävenitz und ihrer Rolle legte Christian Heinrich Günzler 1836 vor, die 1856/57 von seinem Sohn Amandus Friedrich Günzler ergänzt wurde. Diese Handschriften liegen im Hauptstaatsarchiv unter den Signaturen J 1 Bd. 126 a-c. Neben den vereinzelten Akten und Bänden zur Güterverwaltung der Familie Grävenitz im Prozessbestand (u. a. Bü 87-89) sind zahlreiche Unterlagen hierzu im Staatsarchiv Ludwigsburg überliefert. Hier liegen die Akten der beiden Ludwigsburger Kanzleien der Grävenitz (B 150) und ihres Bruders Friedrich Wilhelm von Grävenitz (B 92a). Auch auf die Handschriftensammlung der Württembergischen Landesbibliothek sei verwiesen mit der Anklageschrift gegen die Grävenitz aus dem Jahr 1734 (Cod. hist. fol. 739 IV 3a) und den Memoiren des Grävenitzschen Sekretärs Heinrich August Krippendorf von 1740 (Cod. hist. fol. 1115). Oktober 2010 Joachim Brüser
1. Literatur:
Walter Grube, Die württembergischen Landstände und die Grävenitz; in: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 40/1981, Seite 476-493.
Frank Huss, Eberhard Ludwig - Der schwäbische Sonnenkönig, Gernsbach 2008.
Sybille Oßwald-Bargende, "Alle Regierungsangelegenheiten gingen durch ihre Hände¿" - Die Mätresse Wilhelmine von Grävenitz als politischer Faktor des absolutistischen Herzogtums Württemberg; in: Susanne Jenisch (Hg.), Standpunkte - Ergebnisse und Perspektiven der Frauengeschichtsforschung in Baden-Württemberg (Frauenstudien Baden-Württemberg Bd. 1), Tübingen 1993.
Sybille Oßwald-Bargende, Frau Landhofmeisterin Exzellenz - Wilhelmine von Grävenitz - Annäherung an einen Mythos; in: Beiträge zur Landeskunde 3/1997, Seite 1-8.
Sybille Oßwald-Bargende, Die Mätresse, der Fürst und die Macht - Christina Wilhelmina von Grävenitz und die höfische Gesellschaft (Geschichte und Geschlechter Bd. 32), Frankfurt/Main 2000.
Sybille Oßwald-Bargende, Christina Wilhelmina von Grävenitz und Franziska von Hohenheim - zwischen Dämonisierung und Überhöhung - Eine Annäherung an die kollektive Erinnerung; in: Werner Unseld/Renate Föll (Hg.), Barock und Pietismus - Wege in die Moderne, Ludwigsburg 2004, Seite 82-87.
Paul Sauer, Musen, Machtspiel und Mätressen - Eberhard Ludwig - württembergischer Herzog und Gründer Ludwigsburgs, Tübingen 2008.
Ludwig Timotheus von Spittler, Herzog Eberhard Ludwig und Wilhelmine von Grävenitz; in: Ludwig Timotheus Freiherr von Spittler's sämmtliche Werke. Herausgegeben von Karl Wächter, Bd. 12, Stuttgart 1837, Seite 318-350.
Bernd Wunder, Herzog Eberhard Ludwig (1677-1733); in: Robert Uhland (Hg.), 900 Jahre Haus Württemberg - Leben und Leistung für Land und Volk, Stuttgart 1984, Seite 210-226.
2. Abkürzungen:
Bd. Band
Bü Büschel
cm Zentimeter
Dr. Doktor
Fasz. Faszikel
fl. Gulden
geb. geborene
HStA Hauptstaatsarchiv
No Numero
Nr. Nummer
Rep. Repertorium/Repositur
S. Siegel
Schr. Schriftstück
StA Staatsarchiv
z. T. zum Teil
U Urkunde
3. KFZ-Kennzeichen:
A Augsburg
AA Ostalbkreis
AN Ansbach
B Berlin
BB Böblingen
BC Biberach
BL Zollernalbkreis
CW Calw
DA Darmstadt
DD Dresden
DON Donau-Ries
ES Esslingen
F Frankfurt am Main
FDS Freudenstadt
FN Bodenseekreis
GP Göppingen
HD Rhein-Neckar-Kreis
HDH Heidenheim
HN Heilbronn
HU Hanau
KA Karlsruhe
KN Konstanz
LB Ludwigsburg
MA Mannheim
MOS Neckar-Odenwald-Kreis
NOM Northeim
OG Ortenaukreis
PF Enzkreis
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S Stuttgart
SHA Schwäbisch Hall
TBB Main-Tauber-Kreis
TÜ Tübingen
TUT Tuttlingen
UL Alb-Donau-Kreis
VS Schwarzwald-Baar-Kreis
WN Rems-Murr-Kreis
WÜ Würzburg